Das war Vietnam
Halloele.
Wie besagt, es war Zeit Hanoi zu verlassen. Den letzten Abend hat uns ein gehörloser Mopedfahrer nach Hause gefahren, kam mir ziemlich gefährlich vor, wie der mit uns dreien einfach so, ohne nach links oder rechts zu schauen, über die Kreuzungen gefahren ist. Von Hanoi sind wir mit einem Landbus nach Ha Long gefahren. Wir können von Glück reden, dass die Frau vom Busticketschalter ein paar Brocken Englisch beherrschte, sonst würden wir wahrscheinlich immer noch auf einen Bus warten. Der Busfahrer kassierte dann einfach mal den doppelten ursprünglich vereinbarten Preis von uns ab. War der Meinung unsere Räder kosten extra.
Ha Long ist eine Gegend wo Mutter Natur tausende Felsinseln im Meer geschaffen hat. Die Stadt Ha Long war eine typische Tourisammelzelle und ödete uns weitestgehend an. Als wir aus dem Bus stiegen, unsere Räder waren immer noch in den Kartons verpackt, ich kam mir an diesem und folgenden Tagen vor, wie dieser eine Mann, der ein Buch darüber geschrieben hat, wie er mit einem Kühlschrank als Gepäck die Welt (ich glaube es war nicht die ganze) eroberte. Fahrräder verpackt mit sich schleppen ist mühselig. Es regnete und wir fragten uns tatsächlich, was wir hier verloren hätten.
Wir sind dem Ruf gefolgt, dass die Ha Long Bucht sehenswert sei, aber das was wir sahen überzeugte uns vorerst nicht. Der Strand war unschön, mit Geröll übersät. Ein Hotel nach dem anderen – Abenteuer findet man hier bestimmt keine. Jedoch trafen wir in dem besagten Bus die zwei Deutschen Marcel und Tamara – Geschwister auf Reise, drei vier Jährchen älter als wir. Abends gingen wir ans Meer, „liehen“ uns von einem geschlossenen Cafe Liegestühle aus und lagen so bei einem kühlen Hanoi-Bier vor der Brandung erzählend. Wir schmiedeten den Plan, den nächsten Tag gemeinsam auf die größte aller Insel „Cat Bay“ per Fähre zu fahren, um dort gemeinsam ein oder zwei Tage zu verbringen.
Als wir die Fähre erreichten musste Alex sich wieder um den Ticketpreis streiten. Wieder wollte man mehr Geld von uns haben, als an der Tafel steht. Ein Phänomen was sich die kommenden Tage täglich wiederholt und verschärft. Die Fährfahrt zu der großen Insel ließ sich sehen. Vorbei an steil hinabfallenden mal großen, mal kleinen mit sattem Grün bewachsenen Inseln, fuhren wir ca. 45 min nach Cat Bay. Dort organisierten wir uns Plätze in einem kleinen Bus und fuhren mit diesem bis zur größten Stadt im Süden. Schöne Technomusik des Busfahrers begleitete uns während der Fahrt. Uns kommt die Vegetation bereits tropisch vor. Fremde Pflanzen, die man noch nie gesehen hat, stehen hier zu Hauf. Blätter manchmal so groß wie Menschen schweben hier in der Luft. Ab und zu steigen Schulkinder ein oder wieder aus.
In der Stadt angelangt, fällt es uns nicht schwer ein Hotel zu finden, man wird ja förmlich von den Leuten und ihren Hotelangeboten überfallen. Für 12 Dollar die Nacht quartieren wir uns in einem Hotel mit genialem Blick aufs Meer ein. Für vier Dollar leihen wir uns pro Tag Motorroller aus und erkunden mit denen die Insel. Ein herrliches Gefühl auf diesen zu sitzen – schöne, faule Freiheit. Die zwei Tage auf Cat Bay verbringen wir größtenteils mit Herumfahren. Verkehr gibt es kaum. Am Abend des ersten Tages fuhren wir zum Nationalpark um dort auf eine Aussichtsplattform hochzusteigen. Ca. eine Stunde sind wir vier durch dichten Wald gelatscht und wären dabei beinahe in unserem eigenen Schweiß ertrunken. Ja es ist auch am Abend heiß und feucht. Eigentlich ist man nur am Schwitzen, wenn man sich bewegt.
Verglichen mit dem gemeinen deutschen Wald ist es hier richtig still, wenn mal kein Vogel zwitschert herrscht Vakuumstimmung, absolute Ruhe. Am nächsten Tag, wir wieder auf unseren Rollen, haben wir uns ein ehemaliges Krankenhaus der Nordvietnamesischen Armee angeguckt. In einer großen natürlichen Höhle hat man diesen Krankenhauskomplex, der eher an ein Bunkersystem erinnert, angelegt. Zu viert werden wir von einem Guide durch die Gänge geführt. Als wenn immer noch Blut an den Wänden klebt, kommt es einem vor.
Am Höhlenausgang frage ich den Mann, ob es hier giftige Schlangen gäbe. Er bejahte und zeigt, wenn einen eine Schlange in die Hand beißt, muss man sie abhacken und wegwerfen. Dabei kriegt er einen tierischen Lachanfall, reißt seinen Mund soweit auf, als könnte man locker eine Pampelmuse reinstecken, uns steckt er mit diesem Lachen ebenso an. Wir gehen zu unseren Motorrollen zurück und trinken noch einen vietnamesischen Kaffee. Schwarzer Kaffee mit Eiswürfeln. Dabei tollt die kleine Enkelin des Cafebesitzers zwischen den Stühlen umher. Wir unterhalten uns mit ihm, irgendwann meint er auf das Kind zeigen “Mother HIV, father, HIV, she also HIV”. Wir sind entsetzt. Kaum zu fassen. “Yea they are all living in HIV”. Der Mann meinte eine große Stadt namens Hai Phong, was sich für uns aber wie “HIV” anhörte, wir sind erleichtert und freuen uns wieder mit der kleinen die weiterhin um uns herumwuschelt.
Am Abend schlendern wir in der Stadt auf dem Boulevard entlang und glauben in einem Aquarium eines Restaurants einen Alien gesehen zu haben. Die Tiere die wir sehen, scheinen nicht von diesem Planeten zu sein. Lange Beine, ein grober Panzer, schwimmen sie durch das Wasser. Dieses lebende Fossil wollen Alex und ich unbedingt einmal probieren. In einem anderen Restaurant kaufen wir uns 2 Kg Pfeilschwanzkrebs, so der Name dieses Urgeschöpfes. Vor unseren Augen wird er an Ort und Stelle geschlachtet. Das Blut sieht aus wie Kokusnussmilch und wird uns später als Vorspeise als eine Art Suppe serviert. Der Geschmack ist annehmbar, doch erinnert die Konsistenz an Gehirnmasse die man durch einen Mixer gejagt hat. Danach gibt es das Krebsfleisch, was sehr , sehr eigen schmeckt. Am Tisch sitzen noch ein Norweger und eine Irin. Nur Alex und ich sind am essen, die anderen am Probieren oder enthalten sich. Aber zugegeben, selbst uns beiden Allesfressern hat es nicht besonders geschmeckt. Große Kakerlaken sind auch zugegen, zwischenzeitlich nimmt eine Platz auf meinem linken Knie. Am Abend lassen wir uns zusammen mit anderen Touristen aus aller Welt am Hafenufer nieder.
Am nächsten Tag wollen wir die Insel verlassen um endlich mal wieder zu radeln. Hierzu haben wir uns einen Platz in einem Bus gebucht, der die Insel per Fährschiff gen Hai Phong verlässt. Das Ticket ist relativ teuer und als wir unsere Sachen in den Kleinbus verfrachten, meinte der Busfahrer, dass wir nicht mitfahren könnten, das unsere Räder zu groß seien. Okay. Wenn wir nicht mitfahren, dann wollen wir aber unser Geld wieder haben. Die Frau vom Ticketschalter ist jedoch der Meinung, dass eine Rückgabe der Fahrscheine aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen nicht mehr möglich sei. Mir platzt der Kragen – und nachdem ich mich ein wenig ausgetobt habe, können wir tatsächlich wieder die Tickets zurückgeben und kriegen das Geld wieder.
Schließlich fährt vom Hafen, welcher direkt vor der Hoteltür liegt, eine Schnellfähre nach Hai Phong. Wir schleppen unser Gepäck und Räder dorthin und warten auf das Schiff. Beim Verladen unseres Gepäcks will man wieder Extrageld haben, obwohl ausschließlich Alex und ich dieses verfrachtet haben. Wir sind gereizt. Die Überfahrt dauert nicht lange. Beim Entladen der Räder wollen einige anwesende Herren wieder Geld haben. Unfassbar. Wir lassen uns von einem Taxi zum zentralen Busparkplatz fahren, von wo aus wir einen Bus ins Landesinnere nehmen. Auch der Busfahrer veranschlagt mehr Geld, als auf der Preistafel steht. Dieses ständige Mehrgeldhabenwollen zieht sich wie ein roter Faden durch die kommenden Tage und ist mit ein Grund warum wir Vietnam zügig verlassen haben.
Nach ca. 3 Stunden der Busfahrt werden wir in einer Stadt namens Ninh Binh ausgeladen. Unterwegs sehen wir kaum Wald, dafür Reisfelder so weit das Auge reicht. Es ist heiß draußen. Endlich bauen wir unsere Räder auf dem Busparkplatz zusammen. Der Schweiß rinnt uns beiden in Strömen nieder. Die gesamte Zeit über hockt ein Vietnamese hinter uns, beobachtet uns und zieht dabei seine Spucke hoch, was uns spätestens nach 10 Minuten gewaltig nervt, da wir gut 1,5 Stunden mit den Radzusammenbau beschäftigt waren. Eine alte Frau kommt mit einer Müllkarre vorbei und freut sich riesig, von uns die leeren Radkartons zu bekommen.
Wir fahren los. Viele LKWs und Motorroller sind auf der Straße unterwegs. Obwohl wir schon über 100 km von Hanoi entfernt sind, scheinen wir dessen dicht bevölkerten Speckgürtel noch nicht verlassen zu haben. Unterwegs fahren wir an einen der zahlreichen Werkstattläden ran um unsere Räder mit dem Kompressor aufzupumpen. Der Mann gibt sich freundlich und hilft uns. Doch als er mit dem letzten Reifen fertig war, fordert er Geld. Für jedes Rad will er 50000 VND haben. Ich lache, zeige mich nicht einverstanden und biete ihm 5000 an, welche er ablehnt. Also gut denke ich mir, wenn er kein Geld haben will, fahre ich eben weiter. Jedoch bemerke ich nicht, dass danach der Mann zu Alex rannte, ihn festhielt, ihn anschrie und versuchte bei Alex die Luft aus den Reifen zu lassen. Alex meinte später die Situation wäre beinahe eskaliert, bis er ihm schließlich die 50000 VND gab. In keinem anderen Land dieser Welt musste ich jemals für Reifenaufpumpen Geld bezahlen. Wir sind sehr enttäuscht und erbittert darüber.
Auf einer großen Hauptverkehrsstraße fahren wir gen Tam Diep. LKWs rollen in Kolonnen ans uns vorbei, als wenn es eine Armeefront zu versorgen gilt. Viel Staub hängt in der Luft. Und zum ersten Mal erleben wir die teuflische Huperei der vietnamesichen LKWs. Die Hupen sind hier viel, viel lauter als in Deutschland. Es ist so, als wenn einem ein Elefant sein Rüssel ans Ohr legt und einem dabei das hohe C in den Gehörgang bläst. Das ist grauenvoll laut. Wir leiden förmlich unter diesem Lärmpegel, da die LKW-Fahrer aus nicht erkennbaren Gründen die Hupe betätigen. Diese Huperei war auch ein Grund Vietnam schnell zu verlassen.
Wir finden Abends in Tham Diep ein billiges Hotel. An zelten ist in dieser Gegend nicht zu denken, man würde kein Stilles Plätzchen finden, überall Menschen. In einer öffentlichen Küche, wie es für Vietnam typisch ist, setzen wir uns hin und bestellen uns ein Essen. Am Nachbartisch sitzen zwei junge Männer. Einer von ihnen ist Polizist und kann ein wenig Englisch sprechen. Wir führen zunächst ein gutes Gespräch, doch irgendwann fragt er uns, ob er mal deutsches Geld sehen kann. Ich denke mir nichts Böses und zeige ihm einen 10 Euroschein. Der Schein wird interessiert betrachtet und wechselt, mehrfach den Betrachter, da mehr Männer hinzugekommen sind. Nach 10 Minuten, der 10 Euroschein ist längst nicht mehr zu sehen, frage ich den Polizisten, wo denn mein Geld sei. Er lacht, öffnet seine Geldbörse und gibt mir den Schein zurück. Hätte ich nichts gesagt, hätte er das Geld selbstverständlich eingesteckt. Schamgefühl konnte man keines bei ihm erkennen. Wir bestellen noch eine Nachspeise. Es ist frisches Entenblut mit Kräutern und Erdnüssen, schmeckt gut.
Am nächsten Tag verlassen wir die Hauptverkehrsstraße und fahren über die Dörfer weiter. Zum ersten Mal seit langem ist es wieder einigermaßen ruhig. Schulkinder in weißen Hemden auf Fahrräder kommen uns entgegen, sie winken, wir winken und rufen “Hallo”, sie sind völlig aus dem Häuschen. Nachdem wir durch ein paar kleine Ortschaften gefahren sind, fängt es an zu regnen. Der Himmel ist grau, aber es bleibt trotzdem warm. Die Regenumhänge, die wir uns für 1,50 Euro am Straßenrand kauften, sind bei dieser Hitze , wenn man Rad fährt völlig nutzlos.
Am späten Nachmittag erreichen wir Vinh Loc, ein kleines Kaff. Aber trotzdem beherbergt es ein UNESCO Weltkulturerbe. Das könnte man sich schonmal angucken, denken wir uns. Auf dem Weg dorthin fahren wir an zahlreichen kleinen Läden vorbei, hier wird Elektrokram verkauft, dort bietet man Früchte an, in einer Garage sitzen ca. 20 Frauen an Nähmaschinen und stellen rote und gelbe Kinderjacken her, gleich neben an sitzen Männer und rauchen ihren Tabak aus Bambusrohren (Eine sonderbare Art, wie die Männer überall in Vietnam Tabak rauchen. Sie stopfen sich den Pfeiffenkopf, der auf dem Bambusrohr sitzt, ähnlich einer Bong, nehmen zwei große Züge, stoßen dann den Tabak raus indem sie in das Rohr kurz blasen und atmen dann kräftig ein, sodass ein schrilles Pfeifgeräusch entsteht. Ich habe das einmal ausprobiert, es ist sehr stark und unangenehm. Ein Australier ist neben mir einmal vom Stuhl gefallen, als er vom Bambusrohr rauchte.). Beim Weltkulturerbe angelangt, eine frühere Zitadelle aus der Ho-Dynastie (wer damit was anfangen kann), besuchten wir einen Museumsraum. Eine Vietnamesin kam zu uns, “May I help you? I am a englishguide”. Wir haben uns gefreut, dass jemand Englisch spricht und sagten natürlich “Yes, you can help us”. Sie fing dann vor einem Miniaturmodel der Zitadelle einen Vortrag an. Nach gefühlten zehn Sekunden starrten Alex und ich uns an, wir verstanden kein Wort, mussten aber weiterhin ‘gespannt’ zuhören. Alex, der einen Apfel aß, biss sich am Apfel fest um nicht zu lachen, ich musste mir die Lippen zusammenpressen. Wir verstanden von ihrem Englisch nicht mal ein Viertel, bedankten uns aber sehr für den Vortrag. Wir verließen zugleich auch das Museum und verabschiedeten uns von unserem Englischguide, als sie beim Sprechen den Mund öffnete, landete eine dicke schwarze Fliege auf ihren linken Schneidezahn – was musste ich darüber lachen.
Wir fuhren in den Ort zurück und besorgten uns eine billige Unterkunft in einem Hotel. Hier fiel uns zum ersten Mal auf, dass man in diesem Hotel, wie in anderen auch, die Zimmer auch nur stundenweise mieten kann – als dann abends die ersten Männer in jeweils ein Zimmer gingen und später wieder dieses verließen, wussten wir auch warum. Abends aßen wir wieder Suppe mit Bambussprossen, Fleischstücken und Reisnudeln, natürlich alles mit Stäbchen. Am nächsten Tag führte uns die Straße an vielen kleinen Flüssen oder Kanälen entlang. Wasserbüffel stehen auf den Reisfelder. Diese Tiere können sich hier scheinbar vollkommen frei bewegen.
Wir wollen nach Yen Cat über kleine Straßen fahren. Unserem GPS-Gerät fehlt aber zum ersten Mal Kartenmaterial auf dieser Reise, sodass wir auf die Hilfe der Menschen angewiesen sind. Eine Handkarte auf Vietnamesisch haben wir ja dabei, es dürfte also nicht allzu schwierig werden, nach der korrekten Richtung zu fragen. Denkste… ! Es war der reinste Akt die Menschen nach den Weg zu fragen. Dies hat uns beinahe zur Verzweiflung getrieben. 95 % der Menschen die wir in Vietnam mit unserer Karte nach den Weg fragten, waren nicht in der Lage uns eine Richtung per Handzeichen anzugeben. Entweder standen sie da, zuckten die Schultern, kannten den Ort nicht, obwohl es auf Vietnamesich geschrieben stand, oft wussten sie selber nicht wo sie auf der Karte waren…und dergleichen. Sowas haben wir noch nie erlebt und es ist mir heute auch noch unbegreiflich, warum wir auf so viel Nichtwissen was die Kartenproblematik betrifft, stießen. Selbst in der Mongolei konnten uns die Normaden mehr Auskunft erteilen. Wie an diesem Tag, stellte sich oft heraus, dass der Weg, wenn uns seiner gezeigt wurde, der falsche war.
Wie gesagt, vorbei an kleinen Flüssen und Reisfeldern und Menschen die einem “Hello” zurufen, fanden wir eine Brücke die über einen größeren Fluss ging. Das Flusswasser war schlammbraun. Bis heute habe ich noch kein Fließgewässer mit einigermaßen klarem Wasser gesehen, was ja keine Verschmutzung sondern nur aufgewühltes Sediment ist. Wir erreichten einen größeren Ort. Gebäude die sich im Bau befinden, sind statt mit Metall mit Bambusgestänge eingerüstet. Eine Frau die uns zwei Äpfel und Wasser verkauft, denn es ist sehr warm, spricht ein paar Brocken Deutsch. Sie hat in den 80’er Jahren in Berlin gelebt. In Hanoi trafen wir einen Anaesthesisten der 1987 in Rostock studiert hat.
In diesem Ort halten wir vier Mal an, um die Menschen nach dem Weg zu fragen. Teilweise zeigten die Leute unterschiedliche Richtungen an, wir vertrauen schließlich einem Taxifahrer…eine Stunde später sehen wir, dass wir einen großen Umweg fahren. Wir sind wieder einmal verärgert darüber. Viel Verkehr drängelt sich über diese kleine Straße. Es gibt zwar allerhand interessante Sachen zu sehen, so dreschen die Menschen ihren Reis vor ihrer Haustür, um ihn dann auf der Straße zum Trocknen auszubreiten, jedoch können wir das nicht genießen, noch uns darauf konzentrieren. Wir sind einfach nur genervt. Genervt von der nimmer enden wollenden Huperei der LKWs, von der falschen Wegangabe, von den unzähligen “Hello”s der vielen Menschen ca. 300 an diesem Tag. Es klingt an dieser Stelle vielleicht so, dass wir das “Hello” nicht schätzen, aber das stimmt nicht. Wenn wir dem “Hello” unser “Hello” zurückrufen, kommt in der Regel wieder ein “Hello” zurück. Man könnte ganze Gespräche nur mit diesem einen Wort “Hello” hier führen. Es kommt uns so vor, als sei dies das einzige englische Wort der Menschen hier. Manche sehen uns von weiten, fangen an zu kreischen, laufen zur Straße um uns dann mit “Hello” anzubrüllen. Dieses “Hello” muss unbedingt raus, manche sind richtig angespannt und es geht ihnen erst gut, wenn sie uns “ohh Hello” zurufen. Dieses “Hello” ist schon wie ein Automatismus und gar nicht ehrlich gemeint. 300 solcher “Hello”s am Tag gehen an die Substanz…man mag es kaum glauben.
Zum späten Nachmittag ändert sich die Landschaft, es wird grüner, die Reisfelder verschwinden, Palmen und Bäume stattdessen. Weniger LKWs, weniger Menschen und somit “Hello”s auf der Straße. Alex hat einen Platten, welcher schnell repariert ist. Ein paar neugierige Kinder stehen umher, ein paar Motorroller halten an um zu gucken, aber sie nerven nicht, zum Glück, denn wir sind innerlich schon auf Anschlag gespannt. Alex hat es an diesem Nachmittag treffend formuliert: “Es ist zwar schön hier, aber ich kann es nicht genießen.” Wer weiß, vielleicht wird es jetzt tatsächlich ruhiger. Ein Blick auf die Karte verrät, dass wir am morgigen Tag endgültig im ländlichen Teil fernab von der großen Straße sind.
Tatsächlich fahren wir am kommenden Tag ‘so richtig’ über die Dörfer. Die Asphaltstraße wird durch Sand- oder Schotterpiste ersetzt. Die Vegetation ist dicht, tropische Pflanzen. Ab und zu kommt uns ein Motorroller, welcher Gänse, oder gar ein paar Schweine geladen hat, entgegen. Der Tag fängt echt gut an. Es macht Spaß hier über die Dörfer zu heizen, oder einfach nur auf der Straße mitten im Nirgendwo entlangzufahren. Die Menschen gucken uns oft erstaunt an und hinterher. Wahrscheinlich kommen hier nicht allzu oft vollbärtige Radfahrer vorbei. Die Kinder sind nahezu jedes Mal begeistert wenn sie uns sehen, laufen uns hinterher, oder fahren uns auf ihren Rädern nach. Jedoch, wir müssen wieder einmal nach den Weg fragen. Als ich vom Rad steige um zu einer Bambushütte mit Bananenblätterdach gehe, wo eine Frau steht, schreit diese und rennt von mir weg, hat sich erschreckt. Ein Mann kommt, ihn frage ich nach dem Weg. Schnell sammeln sich Leute um uns an, alle gucken neugierig und sind freundlich, alle winken, als wir losfuhren. Nach zwei Stunden die bittere Erkenntnis: Der Weg war der falsche. Wir kommen nach ca. 6 Stunden Radfahrt nur 10 km hinter unserem Startpunkt raus.
Wir nehmen in einer Fressbude Platz, Essen Würstchen die in Bananenblätter eingewickelt sind und beschließen, bis zum Abend den nächsten großen Ort zu erreichen. Außerdem beschließen wir, aus Vietnam zu verschwinden. Ursprünglich wollten wir weitaus länger in diesem Land bleiben, aber auch die Fahrten über die ruhigen Dörfer sind kein Balsam für unsere Nerven. Noch nie waren wir auf dieser Radtour dermaßen im Dysstress.
Der nächste Tag bildet den absoluten Stresshöhepunkt. Alex und ich haben uns ab Tagesmitte verloren, sodass wir entschieden uns zum Abend hin in einem bestimmten Ort zu treffen. Somit verlebte jeder für sich den Tag alleine. In einem Ort halte ich an um auf die Karte zu gucken. Gegenüber findet in einer Schule gerade der Schulschluss statt und Momente später bin ich von lachenden kleinen Schulkindern umgeben. Sie folgen mir auf ihren Rädern. Ich mache noch einmal Halt um einen Erwachsenen nach den Weg zu fragen. Er zuckt die Schultern, versteht mich nicht. Plötzlich schaut ein kleines Schulmädchen auf die Karte, findet selber ihren Standort, versteht mich und zeigt mir prompt den richtigen Weg. Ich bin entzückt, kriege vor lauter Verblüffung fast einen Lachanfall, dass mir eine ca. 9 jährige auf der Karte zeigen kann wo es lang geht, was ca. 100 Erwachsene in den letzten 3 Tagen nicht geschafft haben. Am Abend komme ich vor Alex in der Stadt an. Ich bin erschöpft, der Tag war sehr heiß, ca. 100 km hinter mir und ich will einfach nur eine Übernachtungsmöglichkeit haben. In einem Hotel frage ich nach. Der Mann stellte sich einfach nur tappsig an ! Seine kleine Tochter kommt hinzu und übernimmt scheinbar den Laden, der Mann verschwindet. Ich bedeute beiden ich will ein Zimmer, muss aber zuvor wissen wie teuer das ist. Mit den typischen Gesten kam ich hier nicht weiter. Also rief ich einen Vietnamesen an, den wir in Hanoi kennenlernten, er spricht englisch und soll übersetzen. Als ich dem Hotelmann das Handy reiche, guckt er mich komisch an und geht einfach. Ich gebe der kleinen den Hörer, sie schreit einfach nur rein…ich bin sprachlos, gehe raus, sage mir “Ganz ruhig Arne, das wird schon”, fasse mir ein Herz und gehe noch einmal rein und versuche dem Mann mein Handy zu geben. Er versteht mich absolute nicht, was ich von ihm will. Mir ist das unbegreiflich – in diesem Moment springen mir alle Sicherungen raus. Verlasse das Hotel, schlage auf meinen Fahrradsattel ein und schreie. Dann muss ich mich hinhocken. Ich habe mich selten so erlebt. Das ist mir alles zu viel in diesem Land.
Wenig später trifft Alex ein. Ich habe mittlerweile ein anderes Hotel ohne Komplikationen gefunden, die Leute wussten dort was ich meinte und dass man einen Telefonhörer in die Hand nimmt, wenn dieser einem gereicht wird, wussten sie auch. Alex berichtete mir von seiner Fahrt, auch er ist richtig schlimm ausgerastet und musste sich ebenso hinhocken. Als wir uns gegenseitig unsere Ausraster erzählen können wir glücklicherweise drüber lachen, doch eins ist uns klar, maximal einen Tag bleiben wir noch in Vietnam. Wir sind relativ dicht an der Grenze nur noch 80 km sind zu fahren. Da wir erschöpft sind gehen wir früh schlafen und stehen früh auf.
Der letzte Tag verläuft normal. Ich bekomme meine ersten Platten auf dieser Tour. Die letzten 20 km der Straße haben es gewaltig in sich. Steile Berge und Serpentinen sowie ein unendlicher Djungel, soweit das Auge reicht, begrüßen uns. Aus den Gebüschen kommt uns ein seltsames Insektengeräusch entgegen. Als wenn eine Kreissäge im Freilauf arbeitet, hört es sich an. Als es bereits dunkel ist, haben wir die Grenze und den höchsten Punkt des Passes erreicht, unsere Shirts können wir auswringen, so sehr nassgeschwitzt. Leider ist die Grenze bereits geschlossen, wir müssen also hier übernachten. Ein Mann fragt Alex ob wir bei ihm zu Hause (seiner Hütte) übernachten wollen. Liebend gern! Wir dachten wir würden netterweise eingeladen, da unsere Situation ersichtlich war, doch falsch gedacht. Als wir bei der Hütte ankamen wollte der Mann 10 Dollar haben. Unverschämt viel und unverschämt uns erst auf joviale Art einzuladen und den Anschein zu wahren, uns gerne zu helfen. Wir zelteten schließlich die Nacht neben der Leitplanke auf einem 2 m breiten Grasstreifen, dahinter kam Abgrund. Morgens standen wir 6 Uhr auf und passierten 7 Uhr die Grenze, für den Ausreisestempel wollte man noch jeweils einen Dollar haben. Also immer den Notdollar für den Vietnamurlaub sicher verwahren, da man sonst keinen Ausreisestempel erhält.
Wir sind froh in Laos zu sein – und das Schöne ist, unsere Hoffnungen haben sich erfüllt: Laos ist ein wunderbares Land, mit ganz wunderbaren Menschen.
Es finden sich bestimmt viele Schreib- und Ausdrucksfehler. Ich bitte dies zu entschuldigen, es blieb nur Zeit zum Drauflosschreiben.
Liebe Grüße von uns Alex und Arne
h
17. Oktober 2012 um 13:00
Oh man, das klingt ja superstressig. Trotzdem wieder toll geschrieben, viele Grüße in die Ferne!
17. Oktober 2012 um 13:35
lieber lexi und unbekannterweise arne. lothar gewährt mir immer einblicke in euer spannendes abenteuer, ich bin begeistert und fiebere mit euch. herzlichen dank für deine karte, lieber lexi, solche freundlichen und lieben grüsse habe ich lange nicht bekommen und vor allem nicht von soweit her.
wenn du wieder hier bist, backe ich dir oder vielleicht auch euch beiden, eine dicke…hohe torte. natürlich auch von usn, omi und lothar.. herzlichen dank für die karte/foto fahrräder am see aus der mongolei.. die letzte Reiseinfo(das war vietnam)klingt nicht besonders freudig… haltet durch und sucht euch wieder freudige höhepunkte,über die wir auch lachen können. liebe grüsse omi-lo
22. Oktober 2012 um 23:05
Wo du das mit den „Hello“ erzählt hast, musste ich an Ägypten denken: https://www.youtube.com/watch?v=mjCgHkyXzMc
14. Februar 2016 um 14:09
Eure schlechten Erfahrung mit Vietnam kann ich nur bestätigen. Das Schlimmste hier ist der ewig hupende Verkehr. Gehupt wird Tag und Nacht ob eine Situation überschaubar ist oder nicht, – aus Prinzip ? Möglich ist das auch der einzige Moment, wo sich einer noch stark fühlen darf, in einem Land, das von einem kommunistischen Regime festgehalten wird.
Ich war mit 16 Leuten, über 10 Stunden lang von Pleiku an der Grenze zu Kambodia unterwegs nach HoiAn, in einem Minibus eingepfercht. Der Fahrer lies nicht einmal 1 Minute sein Hand von der Hupe weg, rauchte 1 Kippe nach der anderen und kickte seine leeren Dosen bei voller Fahrt aus dem Fenster. – Was immer der sich da reingezogen hat ? Bei seinem Überholmanöver zwang er den Gegenverkehr fast in den Graben. Für den doppelten Fahrpreis „als Foreigners“ durfte ich selbstverständlich mit meinem Rucksack und einem 2 Fahrgast diesen Wahnsinn direkt und hautnah von vorne aus, in erster Reihe miterleben. Habe eine ganze Menge Dreck über die kaputte aircondition eingeatmet. In meinem homestay habe ich dann die ganze Nacht ziemlich gelbes Zeug gehustet.
Die Leute auf dem Land sprechen keine Fremdsprachen hier.
Beschilderung im Verkehr, an Häusern und Restaurants sind ebenso in vietnamesisch.
Englisch sprechende findet man meist bei Jüngeren, die aus Saigon oder HaNoi zu Besuch bei ihren Familien sind. Sich hier mit dem eingefahrenen Muster anzulegen ist zwecklos. Du wirst immer den Kürzeren ziehen und verlierst. Entwicklung findet nur sehr langsam statt.
Kommt hinzu: Fast Jede/r/e besitzt in Vietnam ein Motorcycle, mit Horn versteht sich. Falls dann irgendwann jeder sein 2 Rad, ähnlich wie in Bangkok, gegen ein Auto eintauschen kann, wird sich auch hier auf den Strassen die nächsten 10 Jahre nichts mehr bewegen können. Vielleicht auch gut um mal für die Situation hier ein Bewusstsein anzuregen.
Aber solange der Staat hier die Kontrolle über alles und jeden hat, lebt das Volk wirklich in Armut und die Leute werden krank vom smoke und von dem Lärm.
Ich möchte am liebsten wieder raus hier. Ich bin nach mittlerweile 10 Tagen völlig am Ende meiner Kräfte. Mein Flug nach HongKong geht erst in
14 Tagen. ab airport HaNoi. solong … durchhalten und take care
Marti